Hallo, mein Name ist Amfa Alfa Matrix, ihr könnt mich aber Alma nennen. Ich bin seit dem 12. August 2021 Stephans neue Blindenführhündin. Gerade habe ich erst frisch die Ausbildung beendet, da bin ich auch schon bei Stephan im Dienst. Hier stelle ich mich vor und erzähle euch, wie mein Leben bisher verlaufen ist.
Die Entscheidung
Bereits als ich am 11. Februar 2019 geboren wurde, stand für mich fest, ich möchte eine Aufgabe haben, die mich Tag für Tag fordert und mich zu Höchstleistungen antreibt. Als nach der 8. Lebenswoche meine Züchter meine Geschwister und mich fragten, was wir werden wollen, meldeten sich meine Geschwister begeistert für den Job eines Jagdhundes, Rettungshundes, Lawinensuchhundes, Spürhundes oder eben auch als normalen Familienhund. Ich konnte meine Geschwister gut verstehen, schließlich sind dies alles Aufgaben, die sehr anspruchsvoll sind, doch für mich waren sie einfach nicht das Richtige. Ich wollte eine Blindenführhündin werden. Meine Züchter akzeptierten meinen Wunsch und stellten mich meiner Führhundschule vor. Da die erste Gesundheitsprüfung sehr positiv ausfiel, die Ausbildung zum Blindenführhund jedoch erst beginnen kann sobald ich aus dem Welpenalter heraus bin, entschieden meine Züchter und die Führhundschule gemeinsam, dass ich zu einer Patenfamilie ziehen sollte.
Die Patenzeit
Diese Zeit war sehr schön, da meine Pateneltern sich viel Zeit für mich genommen und sich um meine Grunderziehung, mein Verhalten bei Begegnungen mit Menschen, Hunden und anderen Tieren gekümmert haben. Sie haben mich an das Fahren mit Auto, Bus und Bahn gewöhnt sowie mit mir die Großstadt, Einkaufcenter und alles, was dazu gehört, erkundet. Selbstverständlich blieb es hierbei nicht aus, dass sie mir die Grenzen und Regeln im täglichen miteinander aufzeigen mussten. Ich durfte aber auch viel spielen und mit anderen Hunden toben. Natürlich riss in dieser Zeit der Kontakt zu der Führhundschule nicht ab, die Trainer besuchten mich regelmäßig, um zu kontrollieren, ob ich die entsprechenden Fortschritte gemacht habe, und standen meiner Patenfamilie jederzeit mit Rat und Tat zur Seite.
Endlich Junghund
Mit Ende meines 18. Lebensmonats war ich dann endlich vom kleinen, tollpatschigen Welpen zu einer selbstsicheren, mittelgroßen Hündin herangewachsen. Zu diesem Zeitpunkt hatte sich mein Erscheinungsbild zu dem für meine Rasse typischen entwickelt. Wie für einen Labrador üblich ist mein Kopf nun nicht mehr klein und schmal, sondern breit gewachsen, meine Rute hat sich zu der weitläufig als "Otterrute" bekannten entwickelt (diese ist dick am Ansatz, verjüngt sich allmählich zur Rutenspitze hin und ist rund herum mit kurzem dickem Fell bedeckt). Auch mein schokoladenbraunes Haarkleid ist nun kurz, dicht, hart, mit guter Unterwolle und nicht mehr so dünn und wellig wie es als Welpe war. Selbstverständlich bin ich auch gewachsen und habe nun eine Schulterhöhe von 54 cm und eine dazu passende Rückenlänge von 56 cm. Nun da alle Voraussetzungen erfüllt waren, hat meine Führhundschule mich den Wesenstest nach "Schweizer Muster", sowie die Gesundheitsprüfung machen lassen. Beide habe ich problemlos absolviert. Nun stand endlich meiner eigentlichen Ausbildung nichts mehr im Weg.
Die Ausbildung kann beginnen
In freudiger Erwartung auf das Training verließ ich meine Patenfamilie und zog in die Führhundschule und somit zu meinen Trainern. Die circa sechs- bis neunmonatige Ausbildung begann damit, dass ich mit dem Führgeschirr und den verschiedenen Hörlauten, von denen ich im Laufe der Ausbildung etwa 40 erlernen musste, vertraut gemacht wurde. Da meine Trainer Profis sind, versuchten sie mich langsam an meine neue Aufgabe heranzuführen und mir nicht gleich alle Hörlaute auf einmal beizubringen. Als Erstes lernte ich geradeaus zu führen, Richtungen zu ändern, Hindernisse am Boden, seitlich oder auch in Kopfhöhe des Menschen zu umgehen, an Treppen oder Bordsteinkanten, egal ob hoch oder ebenerdig, anzuhalten, auf Hörzeichen Fußgängerüberwege, Verkehrsampeln, Ein- und Ausgänge von Verkehrsmitteln oder Gebäuden sowie freie Sitzplätze aufzusuchen.
Falls ihr jetzt glaubt, dass dieses Training in einem extra dafür aufgebauten Trainingsgelände durchgeführt wird, habt ihr falsch gedacht. Meine Trainer haben jedes Training mit mir im ganz normalen Straßenverkehr durchgeführt. Gut, anfangs in kleineren Nebenstraßen mit wenig Verkehr, doch nach und nach wurde der Verkehr mehr und mehr, bis wir dann schlussendlich mitten im Stadtzentrum von Arnstadt oder Erfurt trainierten. Auch haben meine Trainer keine Rücksicht auf das Wetter genommen, ihnen war es völlig egal, ob es stürmte, in Strömen regnete oder die Sonne vom Himmel knallte. Immer frei nach dem Motto "es gibt kein schlechtes Wetter, nur die falsche Kleidung." Gut an regnerischen Tagen hatten wir häufiger an Bahnhöfen und in Einkaufszentren trainiert, doch darauf verlassen konnte ich mich nie.
Wer sich jetzt fragt, was ein Blindenführhund an diesen Plätzen so können muss (schließlich kann ich Stephan ja nicht sagen, welcher Zug gerade einfährt, an welchem Gleis wir gerade sind oder ob ihm eine Jeans steht), hier nur ein paar Beispiele: ausweichen, wenn Menschen im Weg stehen oder uns entgegenkommen; Aufsuchen von Treppen auf- oder abwärts, von Fahrstühlen, von Ein- und Ausgängen, von Schaltern; das Umgehen von Höhenhindernissen wie beispielsweise Absperrbänder oder Schranken; die Abgrundverweigerung am Bahnsteig; das Begehen von offenen Treppen sowie Treppen mit Metallgitterstufen und das Begehen von Gitterrosten. Auch mussten meine Ausbilder mir durch intensives Training beibringen, dass ich jederzeit aktiv den Gehorsam verweigern können muss. Beispielsweise muss ich, wenn Stephan mit mir eine Straße überqueren möchte, uns in dem Moment aber ein nicht hörbares Elektro-Auto überfahren könnte, den Befehl verweigern. Auch das Betreten von Rolltreppen und Laufbändern muss ich verweigern, schließlich kann ich mir auf diesen sehr schnell meine Krallen verletzen.
Das Training hat ausschließlich auf positiver Bestärkung basiert und wenn ich nicht trainiert habe, durfte ich mit anderen Hunden spielen. Nach 6 Monaten war mein Training eigentlich bereits abgeschlossen, doch dann wurden nach dem Lockdown allmählich Geschäfte, Restaurants und Cafés wieder geöffnet und meine Trainer entschieden gemeinsam mit Stephan, dass ich mich lieber noch ein paar Wochen an die für mich neuen Eindrücke gewöhnen sollte.
Während meiner Ausbildung hat mich Stephan bereits häufiger besucht. Das hat mir den Übergang zu ihm sicher etwas erleichtert. Heute ist meine Ausbildung abgeschlossen und es war eine schöne Zeit, die ich sicher niemals vergessen werde. Ich bin gespannt, wie mein Leben an Stephans Seite weitergeht. Ich kann mich nur noch einmal bei meinen Trainern, meiner Patenfamilie und natürlich auch bei meinen Züchtern für diese wundervolle Zeit bedanken. Ohne Euch wäre ich nie zu der Blindenführhündin geworden die ich heute bin.
Falls ihr jetzt noch etwas Persönliches von mir wissen wollt – dann hinterlasst ruhig einen Kommentar mit eurer Frage.
Liebe Grüße
Jana
es freut mich das euch mein Beitrag bzw. Alma ihre Vorstellung gefällt.
Ja als sehender macht man sich viel zu wenige Gedanken darüber was so ein Blindenführhund alles können muss und wie schwer diese Ausbildung eigentlich ist.
Alma und ich müssen uns jetzt noch etwas an einander gewöhnen, doch ich bin mir sicher das schon bald ein weiterer Artikel folgen wird.
LG
Stephan
welch aufregende Zeit da sowohl hinter als auch vor euch liegt!
Danke für diesen spannenden Einblick in die Ausbildung zum Blindenführhund. Am schwierigsten stelle ich mir das aktive Verweigern des Gehorsams vor - irre, was ein Tier da alles können muss.
Ich bin gespannt auf weitere Erlebnisberichte von euch beiden.
Herzliche Grüße
Anja von STADT LAND WELTentdecker