Vor zwei Jahren wurde ich von zwei Studentinnen angesprochen, ob ich ihnen bei ihrer Bachelor Arbeit helfen könnte. Die beiden beschäftigten sich in ihrer Arbeit mit dem Vertrauen von Blinden zu ihren Blindenführhunden und ich habe mich natürlich gern dazu bereit erklärt. Wenige Tage später traf ich die beiden und nachdem Sie mir alle Fragen zu Ihrer Arbeit gestellt hatten, hatten sie noch viele weitere Fragen an mich. So war es ihnen zum Beispiel unvorstellbar, dass ich alleine leben kann. Woher soll ich allein wissen, welche Kleidungsstücke zusammen passen, welcher der Zucker- und welcher der Salzstreuer ist oder ob alle Lampen in der Wohnung ausgeschaltet sind. Nachdem ich den beiden auch diese ganzen Fragen beantwortet hatte war die Fragestunde jedoch noch nicht vorbei. Die kommenden Fragen waren dann nicht mehr dem alltäglichen Leben eines Blinden gewidmet, sondern nun wollten sie allgemeinere Dinge von mir wissen. So zum Beispiel wo ich zuletzt im Urlaub war, was ich an Hobbys habe und was ich zuletzt außergewöhnliches gemacht habe. Meine Antwort auf die letzte Frage verblüffte die beiden.
Ich erzählte ihnen von einer jährlich stattfindenden Veranstaltung in Peenemünde, bei der auch Blinde selbst einmal Auto und Motorrad fahren können. An dieser Veranstaltung nahm ich zusammen mit ein paar Freunden am 26.07.2008 das erste aber nicht letzte Mal teil. Es handelt sich um eine bereits seit 2003 wiederholende Veranstaltung, für die der Peenemünder Motorsport- und Verkehrsschulungsverein seine Trainingsfläche zu Verfügung stellt. Diese Trainingsfläche befindet sich auf einem ehemaligen Flughafen in Peenemünde die sich dieser für Fahrsicherheitsschulungen umgebaut hat.
Die Veranstaltung
Als wir an dem besagten Tag an dem ehemaligen Flughafen ankamen, hatten sich bereits 16 Fahrschulen in einer langen Reihe auf der Rennstrecke aufgestellt und die Organisatoren begrüßten die über 60 Teilnehmer. Anschließend ging der Spaß auch schon los und die Fahrschullehrer setzten sich in Ihre Fahrzeuge und warteten auf die ersten mutigen Fahrer. Da sich keiner so recht traute, ging ich zu dem ersten Fahrzeug, welches in unserer Nähe stand. Ich setzte mich gleich auf den Fahrersitz des VW Golf, meine Freunde nahmen auf den Rücksitzbank Platz.
Da ich mir den Fahrersitz gleich optimal einstellte, die Handbremse löste und bereits die Kupplung betätigte um den ersten Gang einzulegen vermutete der Fahrlehrer, dass ich wohl nicht das erste Mal dabei sei. Dies belustigte meine Freunde von der Rücksitzbank. Auf seine irritiert Frage, wo ich dies bereits gelernt habe, erklärte ich ihm, dass ich späterblindet bin und tatsächlich über einen Auto-Führerschein verfüge. An einer solchen Veranstaltung habe ich allerdings noch nie teilgenommen. Die Erklärung reichte ihm und er meinte nur "Gut.Dann muss ich dir bezüglich Schalten usw. wohl keine Anweisungen mehr geben sondern muss dir nur noch sagen wie du einlenken und wann Du Gas geben sollst."
Die Fahrt konnte beginnen. Ich legte den ersten Gang ein, spielte mit dem Gas und lies die Kupplung kommen. Das Auto bewegte sich, bis hierher war es einfach. Der Fahrlehrer gab mir nun mittels Uhrzeiger-Anweisungen an, wie stark ich einlenken sollte. Das klappte ganz gut und nachdem ich zwei Runden über die Strecke gefahren war tauschte ich meinen Sitzplatz mit einem Kumpel von der Rückbank.
Nun sollte auch dieser sein Können beweisen. Dieser sagte gleich nach dem Einsteigen an, dass er noch nie Auto gefahren ist und bat den Fahrlehrer, ihm doch bitte alles genauer zu erklären. Der Fahrlehrer reagierte ganz cool und zeigte ihm erst einmal wo sich welcher Gang befindet, bevor er ihn damit beruhigte dass er sich keine Gedanken wegen dem Schalten machen muss, denn hierbei kann er ihm jederzeit mittels seiner Pedale unterstützen. Die Fahrt ging los und auch er drehte zwei Runden bevor er den Platz mit unserem letzten Kumpel tauschte. Da dieser allerdings sehend war holte der Fahrschullehrer eine Schlafbrille aus seinem Handschuhfach. Diese sollte dieser sich aufsetzen, denn heute gehe es darum blind Auto zu fahren! Auch er drehte wieder zwei Runden.
Nach dem Aussteigen wurde ich von einem anderen Fahrlehrer angesprochen, ob ich mit ihm eine Runde drehen wolle? Da meine Kumpels erst einmal etwas trinken wollten, ich aber noch so viele Autos wie möglich an diesem Tag fahren wollte sagte ich direkt zu und nun saß ich in einer Mercedes C-Klasse. Bereits beim Einsteigen merkte ich, dass auf der Rücksitzbank bereits zwei Männer saßen und ich fragte, ob einer von diesen als erster fahren möchte. Die beiden wollten jedoch erst einmal sehen wie das ganze funktioniert und genau aus diesem Grund hatte der Fahrlehrer einen anderen Blinden gesucht, der die beiden erst einmal ein paar Runden mitnimmt. Nachdem ich die erste Runde in ruhigen Tempo gefahren war merkte der Fahrlehrer an, dass ich doch bitte das Gaspedal nicht wie ein rohes Ei behandeln solle sondern ruhig etwas stärker darauf treten darf. Die zweite Runde ging nun deutlich schneller und in manchen Kurven hörte man die Räder quietschen. Anschließend tauschte ich den Fahrersitz mit einen der beiden Männer von der Rückbank und fuhr auch mit den beiden noch mit. Als ich aus dem Mercedes ausstieg kam ein Kumpel zu mir und ging mit mir zu unseren Freunden, die sich bereits mit Getränken und Bratwürsten die Mägen vollstopften.
Nach der kleinen Stärkung fuhr ich noch mit drei anderen Autos, bevor mich der Mercedes-Fahrlehrer erneut ansprach. Diese letzte Fahrt sollte etwas Besonderes werden. Nicht nur saß ich dieses mal allein mit dem Fahrlehrer im Auto, Nein, nachdem ich die erste langsame Runde gedreht hatte, durfte ich im Vollgas zwei Runden über die Strecke rasen. Nach diesem Nervenkitzel parkte ich den Mercedes wieder ordentlich in der Reihe mit den anderen Fahrschulautos. Als ich das Auto rückwärts eingeparkt hatte bat mich der Fahrschullehrer kurz sitzen zu bleiben. Er verließ das Fahrzeug und wenige Minuten später kam er wieder und erzählte mir, dass ich soeben die Strecke schneller als ein sehendes Mitglied ihres Vereins umrundet hatte und darüber hinaus Tagesbestzeit aufgestellt habe.
ich finde es auch bei jedem Besuch wieder klasse, dass diese Veranstaltung stattfinden kann.
Selbstverständlich war ich mittlerweile nicht nur einmal dabei und habe auch andere derartige Veranstaltungen besucht. Schließlich habe ich Benzin im Blut. ;-)
LG
Stephan
LG,
Cindy
Viele Grüße,
Katharina (von https://www.windelnundworkouts.de)
Wow, wie cool, dass du dich auch mal hinters Steuer setzen kannst. Ich fahre zwar nicht viel und nicht gerne Auto (ich hab auch keines), aber ich kann mir vorstellen, dass es gerade für dich als Blinder einen besonderen Reiz hat, das Fahren mal auszuprobieren. Umso toller, dass es solche Veranstaltungen gibt.
Liebe Grüße von Miriam von www.nordkap-nach-suedkap.de